Mein erster Therapietag

Um 7.20 Uhr verzeichnet mein Therapieplan die Blutabnahme. Um 6.30 Uhr – meine normale Aufstehzeit daheim – schrecke ich hoch und denke zunächst, dass mein Wecker mich nicht geweckt hat oder ich ihn verpasst habe. Nach wenigen Sekunden der Orientierung wird mir klar, dass ich tatsächlich früher dran bin als der Wecker. Nun gut, dann habe ich etwas mehr Zeit um wach zu werden. Etwas überpünktlich erreiche ich den Behandlungsraum im Untergeschoss. Eine gut gelaunte Schwester empfängt mich und zapft mir nahezu schmerzfrei einige Milliliter Blut ab. Leider ist die Akustik im Raum so schlecht, dass ich nur wenig von dem verstehe, was mir die Schwester begleitend zum Zapfvorgang erzählt. Ich bin auch noch etwas müde, denn die Nacht war sehr warm und der Schlaf in einem fremden Bett nicht ganz so tief wie im eigenen.

Anschließend gehe ich zum Frühstück. Es herrscht schon rege Betriebsamkeit am Buffett. Im Angebot sind verschiedene Sorten frischer Brötchen, die üblichen Hotelmarmeladen in den kleinen Plastiknäpfchen. Die übersichtliche Auswahl an Käse, Wurst und Rohkost macht einen guten Eindruck und der Kaffee ist für einen Mensa-Kaffee sehr gut genießbar. Natürlich fehlen auch Müesli und Joghurt nicht auf dem Tisch.

So gestärkt suche ich im Erdgeschoss nach dem Gruppenraum für meine erste Hörtrainingsgruppe. Etwa zehn bis zwölf Personen haben sich mit mir eingefunden und, bis auf zwei, sind sie ebenfalls zum ersten Mal hier. Um uns besser kennenzulernen, erfragt die Therapeutin von jedem ein paar Grundinformationen wie das Datum der OP, welche Seite(n), Gerätetyp, Klinik und Beweggründe. Kurz und knapp wird geantwortet. Ich stelle fest, dass ich, neben den beiden jungen Frauen, die ihre Erstanpassung hier im Haus bekommen haben, zu denen gehöre, die den kürzesten Zeitraum zwischen OP-Termin und Therapiebeginn haben. Es ist sonst keiner dabei, der in 2019 operiert wurde. Das erstaunt mich. Die Therapeutin konnte bei den meisten aufgrund der OP-Klinik auch schon den CI-Hersteller assoziieren. Scheinbar gibt es starke Präferenzen je nachdem wo man sich hat operieren lassen.

Die heutige Therapie besteht aus einem Teekesselchen-Spiel. Man muss also gut zuhören, was die Therapeutin erzählt, um herauszufinden, um welches Teekesselchen es sich handelt. Vor dem Spiel werden Empfänger einer FM-Anlage verteilt. Diese übertragen die Stimme der Therapeutin über die T-Spule induktiv in den Sprachprozessor des CIs. Damit es nicht zu leicht ist, müssen Hörgeräte auf der Gegenseite abgelegt werden und leichthörige Ohren mit einem Gehörschutzstöppsel verschlossen werden. Leider ist meine T-Spule im Prozessor nicht aktiviert, so dass ich von der FM-Anlage nicht profitiere. Trotzdem habe ich, auch weil die Therapeutin gezielt und sehr deutlich spricht, einen guten Verstehensquotienten. Somit habe ich beim Herausfinden der Lösungen auch weniger Schwierigkeiten als andere. Das macht mir Hoffnung.

Nächste Station: Erstuntersuchung beim zuständigen Arzt. Dr. Mustafakamal ist ein sympathischer Mann, so um die 40 schätze ich. Er stellt mir viele Fragen und macht ein paar Übungen mit mir, um herauszufinden, wie sich mein Schwindel verhält. Seine spontane Diagnose ergibt, dass der Schwindel nicht primär vom operierten Ohr herrührt sondern in Muskelverspannungen und eventuellen Fehlstellungen in der Halswirbelsäule seinen Ursprung hat. Wenn sich das bestätigen sollte, wäre das eine gute Nachricht, da es weitaus leichter zu behandeln ist. Er notiert also Massage und Krankengymnastik für mich und entlässt mich nicht ohne den Hinweis, dass ich jederzeit bei ihm vorbeischauen dürfe, wenn mich der Schuh drücken sollte.

Zum Abschluss meines Vormittages darf ich noch eine Hörtraining-Einzelsitzung genießen. Den betreffenden Raum U-BM3 zu finden ist genauso schwierig, wie eigenständig den zugrundeliegenden Sinn des Akronyms zu erfassen. BM steht für Bürocontainer, die im Lichthof des Untergeschosses an die an sich schon labyrinthartig verzweigten Gänge der Klinik angeflanscht sind. Die Orientierung hier ist für viele der betagteren Insassen ganz sicher eine große Herausforderung.

Das Hörtraining beginnt mit einer kurzen Anamnese, begleitet mit der Frage, ob ich der „Hörakustiker“ sei. Es spricht also rum. Die nette Logopädin eröffnet mir, dass die Hörtherapeutin aus der Gruppensitzung, aufgrund meines augenscheinlich schon sehr guten Sprachverstehens, dafür gestimmt hat, mich gleich in die Fortgeschrittenengruppe zu befördern. Meinetwegen, wenn’s nicht klappt, kann ich auch zu den Anfängern zurückkehren.

Dann schlägt sie mir vor, mit einem Sprachverstehenstest anzufangen. In diesem Test liest sie mir in kurzen Sequenzen einen Text vor, den ich Wort für Wort wiederholen muss. Zunächst fünf Minuten mit Mundbild – ich darf ihr also auf den Mund schauen – und fünf Minuten ohne Mundbild. Bei dem Text handelt es sich um „Das Feuerzeug“. Ein Märchen aus dem Erzgebirge, glaube ich. Als treuer Sonntagsmärchen-auf-Kika-Fan kenne ich die Geschichte und vor meinem inneren Auge spielen sich die Szenen filmgleich ab. Da die Logopädin deutlich spricht, habe ich erst jenseits der vierten Minute kleinere Aussetzer, weil die Konzentration nachlässt. Ohne Mundbild ist es ein bisschen schwerer, daher spricht sie wesentlich langsamer, aber am Ende sind wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Den Tagesabschluss macht die CI-Einstellung. Da ich noch keinen C-Hörtest absolviert habe (der folgt erst morgen), ist eine Justierung noch nicht so sinnvoll. Der Audiologe (Physiker) regelt trotzdem etwas nach, aktiviert vor allem aber die T-Spule und richtet eine neues Programm ein, damit ich endlich mein AquaCase in Betrieb nehmen kann. Das AquaCase ist eine kleine wasserdichte Butterbrotsdose mit Kabelanschluss. In diese Dose kommt der Prozessor und an den Kabelanschluss wird mit einem langen Kabel die Spule angestöpselt. Der Vorteil ist, dass man auch beim Schwimmen oder sportlichen Aktivitäten das CI gefahrlos tragen kann – ein echter Mehrwert gegenüber dem Hörgerät. Die Dose trägt man mit einem Clip an der Kleidung oder mit einem Klettband z.B. am Oberarm.

2 thoughts on “Mein erster Therapietag

  1. Wow Axel, das hört sich schon mal gut an. Freue mich, dass es endlich losgegangen ist. Ich denke wir werden uns sehen. Es sind ja nur 60 km.
    Bis bald.
    Dein Klassenkamerad Klaus

  2. Hallo Axel,

    Super, geschrieben!
    Ich finde es toll, dass du von deinen Erfahrungen berichtest!

    Bin schon gespannt was du die kommenden Tage und Wochen noch so berichtest!

    Viele Grüße und gutes hören…

    Ann-Kathrin

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