Just „A Picture Postcard from St.W.“

Der zweite Tag beginnt wieder mit der Hörtrainings-Gruppe. Da meine T-Spule nun aktiv ist, kann ich auch die FM-Anlage nutzen. Heute geht es schneller zur Sache: RuckZuck ist der Stuhlkreis aufgestellt und die Induktionsschlaufen verteilt. Dann geht es los, wieder mit einem Ratespiel. Wir sollen Prominente anhand einer Beschreibung herausfinden. Das ist nicht meine Stärke, da ich es grundsätzlich vermeide, im Wartezimmer meines Arztes „Das Goldene Blatt“ zu lesen. Dennoch erkenne ich ein paar Personen. Das einfachste für alle war: Der Vorgänger eines sehr, sehr unsympathischen Politikers? Barrack Obama, natürlich! Unglücklicherweise kann man die Antworten der einzelnen Teilnehmer nicht verstehen, da es nur ein Handmikrofon für die Leiterin der Gruppe gibt. Aber sie gleicht das aus, indem sie in gekürzter Form für uns wiederholt.

Die Klinik von St. Wendel aus gesehen.

So geht die Stunde schnell vorüber und schon stehe ich im Pulk von Wartenden vor der Sporthalle. Motorischer Basistest. Was soll man sich darunter vorstellen? Irgendetwas mit Bewegung vermutlich. Auf Grund der kurzen Pause und dem weiten Weg zu meinem Zimmer habe ich mich nicht in Sportklamotten geworfen und bin – natürlich – der einzige in Jeans. Wenigsten trage ich meine turnschuhähnlichen MBTs. Wir werden von drei Sporttherapeut*innen empfangen und bilden einen groooßen Kreis. Ganz sicher bin ich nicht der einzige, der die einleitenden Worte des Leiters so nicht versteht, dennoch bin ich der einzige, der anschließend zu ihm geht und die Quintessenz des Gesagten auf normaler Sprachdistanz einfordert. Komisch, die machen das doch nicht seit gestern und sollten wissen, dass es so nicht funktioniert.

Wir werden in drei Gruppen aufgeteilt und nehmen auf bereitstehenden Sporthallenbänken Platz. Zunächst einmal werden die Personalien in Formulare aufgenommen und jeder muss seine Wehwehchen aufzählen. Natürlich möchten sie auch wissen, ob man sich regelmäßig sportlich betätigt. Ich nenne „Singen“ als meine Sportart und erhalte eine positive Rückmeldung. Dann machen wir, einer nach dem anderen, einen Gleichgewichtstest. Ein etwa acht Meter langes, schmales Brett muss balancierend der Länge nach überwunden werden. Bis zur Mitte vorwärts, auf der Latte wenden und rückwärts bis zum Ende. Das ist wie im Schulunterricht nur dass diesmal keiner lacht sondern alle eher betreten wegschauen, wenn man sich blamiert. Aber unsere junge Therapeutin sagt, dass wir das alle prima machen. Dann kommen ein paar Übungen, bei denen wir die Gelenke unserer Schultern und Beine bis an unsere individuellen physischen Grenzen bewegen sollen. Am lustigsten ist jedoch die Über-Kreuz-Übung. Jeder ruft vorher gedanklich seine einzelnen Extremitäten zur Ordnung, aber damit es klappt wirklich bei jedem. Die Therapeutin ist erstaunt und lobt unsere Gruppe über den grünen Klee! Bei der letzten Übung laufen wir alle auf der äußersten Bahn der Halle einem aufleutenden Licht hinterher, das uns die Geschwindigkeit vorgibt. Zum Abschluss bekommen wir keine Ehrenurkunde aber jeder ein Einzelgespräch in dem die Art der künftigen körperlichen Ertüchtigung festgelegt wird. Für mich hat die junge Frau Wassergymnastik oder Nordic Walking im Angebot. Ich wähle Letzteres. Beim Verlassen der Halle bestätigt mir die Therapeutin noch, dass die MBT-Schuhe zum Training meines Gleichgewichts eine gute Idee sind. Ich mache also doch nicht alles falsch.

Heute morgen geht es in meinem Therapieplan Schlag auf Schlag aber als ich mich auf den Wartestühlen vor dem Hörtraing-Einzelsitzungs-Raum niederlasse, erfahre ich, dass mein Training auf morgen verschoben wurde. Nagut, dann mache ich erstmal Mittagspause.

Die Herrgottsbescheißerle, die ich an der Speisetheke wähle, sind leider vegetarisch und schmecken auch so. Die Krönung sind ein Haufen zerkochter Zwiebeln und Wirsinggemüse und Kartoffeln dazu. Selbst mit Nachwürzen ist nichts mehr zu retten und ich beschließe eine Diät zu machen.

Um 13.00 Uhr dann CI-Hörtest. Der Audiologe lässt sich viel Zeit, dass ich schon denke, er hätte mich vergessen. Als er schließlich erscheint, taucht zeitgleich eine aufgelöste Mitrehabilitantin auf, die ihr T-Mic gehimmelt hat, weil sie wohl zu fest an der Otoplastik gerupft hat. Shit. Natürlich wird ihr gleich geholfen und ich warte noch ein wenig, bis es losgeht. Der Audiometrieraum stammt wohl noch aus der „schlechten Zeit“. Jedenfalls verfügt er über eine nur telefonzellengroße Messkabine, bei der jedem Agoraphobiker schon aus der Ferne die Schweißperlen zu rinnen beginnen. Interessanterweise lässt er die mich nur halb in der geöffneten Türe sitzen. Naja, bei meinem Hörverlust stört selbst der Geräuschpegel aus dem geöffneten Fenster nicht weiter. Er nimmt nur eine Luftleitung des linken, nicht operierten Ohres auf. Die anschließenden Sprachtests mit CI im Freifeld, ohne Störgeräusch, absolviere ich mit Bravour. Mit Störgeräusch ist der Spaß allerdings vorbei: Ich erreiche lediglich 8% und mit Unterstützung durch das linke Hörgerät 36%. Trotzdem sagt er, dass ich mit meinen Werten schon ganz schön weit bin.

Das findet auch der CI-Techniker, den ich, nach einem kurzen Ruhe-EKG, dass in der Reihe der Untersuchungen noch gefehlt hatte, aufsuche. Wir plaudern ein wenig über die Technik und dann spielt er mir wieder Töne über das CI vor, die ich zwischen sehr leise und sehr laut kategorisieren soll. Insgesamt hebt er die Lautstärke wieder ein bisschen an. Als er meinem Wunsch nach mehr Bass folgt, stellt sich heraus, dass der Eingangswert für die Mikrofone zu hoch eingestellt ist. Nach der Korrektur wird das CI augenblicklich ruhiger. Hindergrundgeräusche werden nicht mehr so laut übertragen und es könnte mir helfen, die Wortfugen besser zu identifizieren. (Ich stelle mir Sprache immer wie einen Zug vor. Jedes Wort ist ein Waggon. Wenn ich die Wörter=Waggons erkennen will, muss ich die Zwischenräume sehen, denn erst dann wird aus dem Brei die Einzelinformation. Ist der Zug zu schnell, ist das Bild unscharf oder ist es gar ein ICE, wird es sehr schwierig.) Wir sind zufrieden für heute.

Damit endet mein zweiter Therapietag. Es ist noch früh und ich beschließe, meinen ersten Rundgang durch St. Wendel zu machen. Aber von St. Wendel erzähle ich ein anderes Mal.

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