Zwischenstand

Meine letzte Woche ist angebrochen. Die ursprünglich genehmigten drei Wochen wurden um eine weitere Woche verlängert, aber dann ist für mich hier Schluss – vorerst.

Das Hören reicht schon in den Minusbereich – ich höre das Gras wachsen! Nur der Tieftonbereich muss noch besser werden.

Mein Hören und Sprachverstehen hat sich hier am Bosenberg phänomenal verbessert. Ich habe eine Hörkurve, nahezu wie ein Normalhörender! Mein Sprachverstehen ist in Ruhe so gut, dass derzeit nicht zu erwarten ist, dass ich in dieser Reha noch weitere Fortschritte machen werde. Ich verstehe – nur mit dem CI und ohne Mundbild – nahezu alles! Natürlich ist das auf die Dauer noch anstregend und irgendwann geht die Konzentration einfach in die Knie. Das CI ist aber mein bester Freund geworden und das vermeintlich bessere, linke Ohr steuert nur noch klangliche Nuancen hinzu.

Neulich hatte ich morgens beim Frühstück sogar mein Hörgerät im Zimmer vergessen. Ich habe mich gewundert, dass alles so komisch klingt und meinem Umfeld mitgeteilt, dass ich „heute nur Müll“ hören würde. Als ich daraufhin den Hinweis erhielt, dass ich links ja kein HG trage, war ich ehrlich überrascht. Augenblicklich veränderte sich meine Sichtweise und der „Müll“ wurde für mich zu einem eigenartigen aber guten Signal. Das war reine Kopfsache. Ich habe den Gesprächen, ohne HG, beim Frühstück dann trotzdem prima folgen können.

Heute Morgen hatte ich bereits um 7.30 Uhr Hörtraining beim Frühstück im Speisesaal – Alltagstraining. Die Logopädin hat mir schwierige, teils unlogische Sätze und einzelne Wörter vorgesprochen. Ich konnte fast alles – trotz des ungünstigen Settings (nur CI, kein Mundbild, viel Störgeräusch aus allen Ecken) – wiederholen. Abschließend musste ich jeden einzelnen Satz einer vorgelesenen Geschichte wiederholen. Auch das hat mir keine nennenswerten Schwierigkeiten gemacht.

Tatsächlich bin ich hier aber eine Ausnahmeerscheinung. Viele meiner „Kolleginnen“ und „Kollegen“ machen keine so großen Fortschritte wie ich. In den meisten Fällen liegt bei ihnen aber eine langjährige, teils vor Jahrzehnten erworbene oder angeborene Taubheit vor. Hier muss das Sprachverstehen zum Teil ganz neu erworben werden. Das dauert natürlich viel länger.

Auch wenn ich anfangs gehadert habe, bin ich heute sicher, dass meine Entscheidung, in einem vergleichsweise frühen Stadium auf das CI zu wechseln, die richtige war. Über den momentanen Stand bin ich sehr glücklich, hatte ich doch, wg. meines vergleichsweise guten Hörens vor der OP, auch viel zu verlieren. Ergo musste ich sehr viel gewinnen. Bei anderen können auch kleine Schritte schon eine riesige Entwicklung darstellen.

CI-Träger ist nie gleich CI-Träger, das lernt man hier. Dabei ist es eine wunderbare Erfahrung, einer unter vielen zu sein. Wir können uns über unsere Erlebnisse austauschen. Hier ist immer jemand, der versteht, was der/die Andere meint und was er/sie durchmacht. Wir geben uns Mut und helfen einander. Und wir teilen – so nennt es ein netter Kollege – „Glücksgefühle“: Das erste Vogelzwitschern, Grillenzirpen. Das erste deutliche „S“. Kleine Dinge einfach, die für uns das Leben fundamental schön machen.

Und dann sind da auch noch die „Halbhörigen“. Menschen, die durch einen Hörsturz oder beispielsweise eine Meningitis (Hirnhautentzündung) einseitig das Hören spontan verloren haben. Sie hatten keine Zeit, sich über einen langen Zeitraum mit dem Hörverlust zu arrangieren und müssen nicht nur lernen, mit dem CI zu leben sondern auch ihr ganz persönliches Trauma, teils mit psychotherapeutischer Unterstützung, bearbeiten.

Wir sind ein eingeschworenes Team und haben viel Spaß. Glücklicherweise dürfen wir in den kommenden zwei Jahren insgesamt 20 Tage wieder hier verbringen. Das sind dann vier sogenannte „Blockwochen“ in denen die CI-Einstellung weiter verbessert und das Hören trainiert wird.

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