Das bin ich

Mein Name ist Axel Siewert. Seit meiner frühen Jugend bin ich schwerhörig, was aber keinem aufgefallen ist, da ich den Spracherwerb erfolgreich gemeistert habe. Der Tinnitus, an den ich mich mindestens seit meinem zweiten Lebensjahr erinnern kann, ist zwar nicht mein bester Freund aber doch mein treuester Begleiter geworden, der mich nur stört, wenn er besondere akustische Kapriolen treibt.

Meine schulische Laufbahn war folgerichtig eine traumatische Erfahrung für meine Eltern, meine Lehrer und mich. Wie sollte man auch ahnen, dass mir aufgrund meiner fehlenden Hörleistung ganz einfach die Power für einen sechs bis acht Stunden dauernden Schultag fehlte. Der ständige, mühsame Abgleich zwischen gleichklingenden Wörtern war nicht nur notwendig um wenigstens einen Teil des Gesagten entschlüsseln zu können, sondern führte auch stetig zu lustigen Wortverdrehern in meinem Kopf, an denen ich meine Banknachbarn spontan teilhaben liess. Meine Lehrer liebten diese autoritätsuntergrabenden Beiträge nicht sehr und die Folge war: der Klassenclown kommt in die letzte Bank – und versteht dann überhaupt nichts mehr. Zum Glück war ich schon immer mit einem Selbstbewusstsein ausgestattet, dass es mir erlaubte, im Zweifelsfall auch gegen den Strom zu schwimmen und meine Ziele zu verfolgen.

Immerhin erreichte ich damit doch wenigstens die Mittlere Reife und absovierte anschließend eine zweijährige Ausbildung zum „Staatlich geprüften technischen Assistenten für Gestaltung“ in Rheinbach. Nach einem weiteren Jahr, das ich mit jobben und Praktika und dem Schreiben von gut 100 Bewerbungen verbrachte, bekam ich in einem – wie sich später herausstellte – etwas zwielichtigen Spaltprodukt einer kleinen, blau-gelben Partei, die Chance, meine beruflichen Fähigkeiten zu offenbaren und zu entwickeln. Dreieinhalb Jahre später und um einen Hörsturz, üble Mobbingerlebnisse aber auch erste Computererfahrung reicher, beendete ich dieses Experiment. 1990 gründete ich mein eigenes Unternehmen „particular – PrePrint- und Medien-Service“ – jetzt konnte ich die Anfänge des Desktop-Publishings, einem Goldrausch gleich, miterleben. Und ich hatte keinen Chef mehr, dafür viele anspruchsvolle Kunden, die alle bevorzugt bedient werden wollten – und zwar gleichzeitig. Es folgten viele Jahre, die ich, teils zwischen Computern, Druckern und anderer Druckvorstufentechnik auf Bürostühlen nächtigend, verbrachte. Um fachlich nicht nur im eigenen Saft zu schmoren, qualifizierte ich mich nebenbei zwei Jahre lang in Wochenendkursen der IHK-Wiesbaden zum Verlagsfachwirt (Hersteller).

Das „große Agenturensterben“ in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends gab dann auch mir einen Grund über die künftige Form meines Broterwerbs nachzudenken. Fast zeitgleich traf ich meine heutige Frau und wurde von einem auf den anderen Tag Familienvater. Diese Position machten wir gemeinsam zur beruflichen Basis, in dem wir, zu unseren eigenen Kindern, auch Pflegekinder mit „besonderem pädagogischen Bedarf“ aufnahmen. Ich genoss diese Zeit, da es mir so möglich war, das Aufwachsen meiner Kinder zu begleiten. Etwa zehn Jahre später war ich wegen meines Gehörs allerdings nicht mehr in der Lage, diesen Beruf weiterzuführen. Hörgeräte waren zu dieser Zeit leider noch nicht dafür geschaffen, zwischen normalen Unterhaltungen und dem munteren Gekreische von spielenden Kindern zu unterscheiden. Auf die Dauer wurde mein Nervenkostüm dünner und so zerfleddert, dass ich mich dazu entschied mich beruflich noch einmal neu zu orientieren. Aus dem alten Beruf war ich schon zu lange raus und erneut ein Sklave der Computer zu werden, behagte mir nicht. Was sollte ich also tun? Die letzten Jahre hatte ich viel Zeit auch mit der ökologischen Kernsanierung unseres alten Bauernhofs verbracht. Sollte ich das professionalisieren? Meine Bandscheiben sagten zu dieser Idee klar und deutlich „Nein“. Vielleicht einfach Verkäufer im Baumarkt werden? Oder bei dm? Bei einem Besuch bei meinem Akustiker machte es dann Klick. Warum war ich nicht schon lange darauf gekommen? Ich wollte Hörakustiker werden! Nochmal ganz von vorne anfangen und eine Ausbildung machen, das traute ich mir ohne weiteres zu. Ich führte Gespräche mit dem Arbeitsamt, mit der Rentenversicherung und machte mich schlau. Zuletzt war dann das Glück auf meiner Seite und ich erhielt die Möglichkeit zu einer Umschulung und einen Ausbildungsplatz in einer Filiale „meines“ Akustikers, quasi direkt vor der Haustür, in Asbach/Westerwald.

Die zwei Ausbildungsjahre vergingen im Fluge. Meine Noten waren überdurchschnittlich gut und ich stellte jeden Tag aufs Neue fest, dieser Beruf vereint alle meine Interessen in sich: Technik, handwerkliches Arbeiten, persönliche Kundenberatung, Medizin, Anatomie und Tüfteln und die optimale Lösung suchen. Das ist ganz schön umfangreich und der Stoff in der Berufsschule war folglich auch relativ anspruchsvoll.

Natürlich wollte ich mein Leben bis zur Rente nicht als Geselle fristen. Ich meldete ich mich also unverzüglich zur Meisterschule an. Bei AudioMed in Braunschweig absolvierte ich ein weiteres Halbjahr lang die Vorbereitungskurse zur Meisterprüfung Teil I und II im Sommer 2016. Teil IV – die Ausbildungseignungsprüfung – legte ich bei der IHK in Koblenz ab. Bei der praktischen Unterweisung stellte sich einer der Prüfer bei der von mir gestellten Aufgabe (ein Gehäusewechsel am Hörgerät) so ungeschickt an, dass er sich mit einem Werkzeug in den Finger stach und ich um mein Bestehen bangen musste. Der Teil III wurde mir glücklicherweise erlassen, da ich ihn in den 90er Jahren schon bei meiner Verlagsfachwirt-Ausbildung abgehakt hatte.

Um den Flow nicht verebben zu lassen, hängte ich noch ergänzend die Qualifizierung zum Pädakustiker hintendran, denn mein Ziel war es natürlich von Anfang an, mit dafür zu sorgen, dass es Kindern nicht so geht wie es mir in meiner Schulzeit ergangen war. Das war auch der Grund, warum ich schon während meiner Hörakustikerausbildung die Vermarktung von Phonak-Dynamic-Soundfield-Anlagen in unserer Filiale initiiert habe. Die genialen Lautsprecher-Anlagen ermöglichen durch einen akustischen Trick, dass alle Schüler in einem Klassenraum die Lehrkraft gleichermaßen gut verstehen können (hier kommt noch ein Link für alles Interessierten).
Angeregt durch meine anstehende Implantation lerne ich nun ergänzend auch noch, wie man die Sprachprozessoren anpasst. Eine erste Schulung von AdvancedBionics hatte ich bereits.

Dieser Text, den ich nach und nach fortführen werde, basiert auf einem Vortrag, den ich 2016 auf einer Veranstaltung der Landesschule für Gehörlose und Schwerhörige in Neuwied gehalten habe.